- Sueskrise
- SueskriseDie Fünfzigerjahre hatten ein deutliches Anwachsen des Selbstbewusstseins vieler Völker des Südens erlebt. Ägyptens Präsident Gamal Abd el-Nasser (1918-1970) spielte dabei eine besondere Rolle: Auf der Konferenz von Bandung hatte er an der Seite von Nehru, Zhou Enlai und Sukarno als überzeugender Vertreter der Blockfreien internationales Ansehen gewonnen. Der Westen verweigerte ihm jedoch die Hilfe bei der Aufrüstung Ägyptens, sodass er das Angebot der Sowjetunion annahm und mit der ČSSR ein Waffenlieferungsabkommen abschloss. Die arabische Welt sah nun einen Weg, der Abhängigkeit vom Westen zu entgehen. Für Israel bedeutete die neue arabisch-sowjetische Allianz, dass es als einziger zuverlässiger Partner der westlichen Welt im Vorderen Orient hervortrat, denn auch Jordanien begann, sich von der britischen Dominanz zu emanzipieren. Am 1. und 2. November 1955 griffen die Israelis ägyptische Stellungen im Gazastreifen an, um palästinensischen Überfällen ein Ende zu setzen. Nasser erschien mehr und mehr als der auszuschaltende Erzfeind nicht nur Israels, sondern auch der ehemaligen Mandatsmächte Großbritannien und Frankreich, das Nasser für Waffenlieferungen an die algerische FLN verantwortlich machte.Nassers Plan, den Assuan-Staudamm auszubauen, um die Probleme des Landes bei der Bewässerung und Elektrifizierung zu lösen, war der Ausgangspunkt der Sueskrise. Nasser benötigte finanzielle Hilfe des Westens, die aber nur unter Auflagen gewährt worden wäre, die an die Zeiten der Besetzung Ägyptens durch Großbritannien Ende des 19. Jahrhunderts erinnerten und daher von Nasser kategorisch abgelehnt wurden. Als Antwort auf die Haltung des Westens verstaatlichte Ägypten im Juli 1956 die Sueskanalgesellschaft, nachdem die britischen Truppen aus der Kanalzone abgezogen waren. Durch diese Maßnahme gewann Nasser großes Ansehen in Ägypten und in den meisten arabischen Ländern. Briten und Franzosen waren entschlossen, mit allen Mitteln ihre Anwesenheit in der Region zu verteidigen, besonders angesichts der westlichen Abhängigkeit vom Öl der Golfregion. Der Sueskanal, 1869 eingeweiht, war die wichtigste Seeverbindung zwischen Europa, dem Nahen Osten und Südasien.Nasser lehnte den Vorschlag einer Internationalisierung des Sueskanals ab. Die Briten und die Franzosen zogen nun ihr Fachpersonal ab, doch die Ägypter wurden bald Herr der Lage und bewiesen ihre technische Kompetenz. Die beiden Westmächte waren jedoch entschlossen, die sich zuspitzende Sueskrise zu nutzen, um gemeinsam mit Israel das Nasser-Regime zu beseitigen und den panarabischen Ambitionen entgegenzutreten. In drei Londoner Konferenzen (August bis Oktober 1956) bemühte man sich vergeblich um eine Beilegung der Krise. Nach geheimen Absprachen begann Israel am 29. Oktober den Angriff auf den Gazastreifen und drang rasch auf den Sinai vor. Wenig später führte die britisch-französische Luftoffensive zur Bombardierung der Kanalstädte; die beiden Westmächte wähnten sich in einer günstigen Situation, da die Sowjetunion durch den Aufstand in Ungarn gebunden schien.Die UN nahmen eine Resolution der USA an, die das Ende der Kämpfe forderte; die beiden westeuropäischen Mächte wurden verurteilt. Am 4. November beschlossen die UN, eine multinationale Streitmacht an den Kanal zu entsenden, um die Kriegsparteien zu trennen. In dieser Situation bloßgestellt, begannen die Briten und die Franzosen eine überhastete Landung bei Port Said. US-Präsident Eisenhower verurteilte die Gewaltanwendung und war darauf bedacht, den Einfluss der USA in der Region nicht zu gefährden. Die Sowjetunion drohte mit der Anwendung von Nuklearwaffen; unter starkem internationalem Druck mussten die britischen und französischen Truppen den Angriff abbrechen. Die Gefahr eines neuen Weltkriegs war vorüber.Nach der außenpolitischen Niederlage musste der britische Premierminister Anthony Eden zurücktreten und wurde am 10. Januar 1957 durch Harold MacMillan (1894-1986) ersetzt. Der bedeutende militärische Stützpunkt am Sueskanal ging den Westmächten verloren. Nasser hatte zwar einen Krieg militärisch verloren, aber dafür einen großen politischen Sieg errungen. Er war nun die unbestrittene Führungsfigur der arabischen Welt. Der Sowjetunion gelang es, ihr Prestige in der »Dritten Welt« zu steigern. Israel musste sich gegen die Garantie freier Schifffahrt im Golf von Akaba aus den eroberten Gebieten zurückziehen; UN-Soldaten, die die Truppen der Briten und Franzosen bis Jahresende 1956 abgelöst hatten, überwachten die ägyptischen Grenzen zu Israel, das nun in der Region isolierter als zuvor erschien. Der Sueskanal blieb israelischen Schiffen weiter verschlossen.
Universal-Lexikon. 2012.